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Zur Farbenlehre

Johann Wolfgang von Goethe

1808

 

Ob man nicht, indem von den Farben gesprochen werden soll, vor allen Dingen des Lichtes zu erwähnen habe, ist eine ganz natürliche Frage, auf die wir jedoch nur kurz und aufrichtig erwiedern: es scheine bedenklich, da bisher schon so viel" und mancherley von dem Lichte gesagt worden, das Gesagte zu wiederholen oder das oft Wiederholte zu vermehren.

 

Denn eigentlich unternehmen wir umsonst, das Wesen eines Dinges auszudrücken. Wirkungen werden wir gewahr, und eine vollständige Geschichte dieser Wirkungen umfaßte wohl allenfalls das Wesen jenes Dinges. Vergebens bemühen wir uns, den Charakter eines Menschen zu schildern; man stelle dagegen seine Handlungen, seine Thaten zusammen, und ein Bild des Charakters Wird uns entgegentreten.

 

Die Farben sind Thaten des Lichts, Thaten und Leiden. In diesem Sinne können wir von denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten. Farben und Licht stehen zwar unter einander in dem genausten Verhältniß, aber wir müssen uns beyde als der ganzen Natur angehörig denken: denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne des Auges besonders offenbaren will.

 

Eben so entdeckt sich die ganze Natur einem anderen Sinne. Man schließe das Auge, man öffne, man schärfe das Ohr, und vom leisesten Hauch bis zum wildesten Geräusch, vom einfachsten Klang bis zur höchsten Zusammenstimmung, von dem heftigsten leidenschaftlichen Schrey bis zum sanftesten Worte der Vernunft ist es nur die Natur, die spricht, ihr Daseyn, ihre Kraft, ihr Leben und ihre Verhältnisse offenbart, so daß ein Blinder, dem das unendlich Sichtbare versagt ist, im Hörbaren ein unendlich Lebendiges fassen kann.

 

So spricht die Natur hinabwärts zu andern Sinnen, zu bekannten, verkannten, unbekannten Sinnen; so spricht sie mit sich selbst und zu uns durch tausend Erscheinungen. Dem Aufmerksamen ist sie nirgends todt noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Theilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten.

 

So mannigfaltig, so verwickelt und unverständlich uns oft diese Sprache scheinen mag, so bleiben doch ihre Elemente immer dieselbigen. Mit leisem Gewicht und Gegengewicht wägt sich die Natur hin und her, und so entsteht ein Hüben und Drüben, ein Oben und Unten, ein Zuvor und Hernach, wodurch alle die Erscheinungen be» dingt werden, die uns im Raum und in der Zeit entgegentreten.

 

Diese allgemeinen Bewegungen und Bestimmungen werden wir auf die verschiedenste Weise gewahr, bald als ein einfaches Abstoßen und Anziehen, bald als ein aufblickendes und verschwinden» des Licht, als Bewegung der Luft, als Erschütterung des Körpers, als Säurung und Entsäurung; jedoch immer als verbindend oder trennend, das Daseyn bewegend und irgend eine Art von leben befördernd.

 

Indem man aber jenes Gewicht und Gegengewicht von ungleicher Wirkung zu finden glaubt, so hat man auch dieses Verhältniß zu bezeichnen versucht. Man hat ein Mehr und Weniger, ein Wirken ein Widerstreben, ein Thun ein Leiden, ein Vordringendes ein Zurückhaltendes, ein Heftiges ein Mäßigendes, ein Männliches ein Weibliches überall bemerkt und genannt; und so entsteht eine Sprache, eine Symbolik, die man auf ähnliche Fälle als Gleichniß, als nahverwandten Ausdruck, als unmittelbar passendes Wort anwenden und benutzen mag.

 

Diese universellen Bezeichnungen, diese Natursprache auch auf die Farbenlehre anzuwenden, diese Sprache durch die Farbenlehre, durch die Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen zu bereichern, zu erweitern und so die Mittheilung höherer Anschauungen unter den Freunden der Natur zu erleichlern, war die Hauptabsicht des gegenwärtigen Werkes.

 

Die Arbeit selbst zerlegt sich in drey Theile.

Der erste giebt den Entwurf einer Farbenlehre.

In demselben sind die unzähligen Fälle der Erscheinungen unter gewisse Hauptphänomene zusammen gefaßt, welche nach einer Ordnung aufgeführt werden, die zu rechtfertigen der Einleitung überlassen bleibt. Hier aber ist zu bemerken, daß, ob man sich gleich überall an die Erfahrungen gehalten, sie überall zum Grunde gelegt, doch die theoretische Ansicht nicht verschwiegen werden konnte, welche den Anlaß zu jener Aufstellung und Anordnung gegeben.

 

Ist es doch eine höchst wunderliche Forderung, die wohl manchmal gemacht, aber auch selbst von denen, die sie machen, nicht erfüllt wird: Erfahrungen solle man ohne irgend ein theoretisches Band vortragen, und dem Leser, dem Schüler überlassen/ sich selbst nach Belieben irgend eine Ueberzeugung zu bilden. Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bey jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisiren. Dieses aber mit Bewußtseyn, mit Selbstkenntniß, mit Freiheit, und um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu thun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nöthig, wenn die Abstraction, vor der wir uns fürchten, unschädlich, und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.

 

Im zweyten Theil beschäftigen wir uns mit Enthüllung der Newtonischen Theorie,

welche einer freyen Ansicht der Farbenerscheinungen bisher mit Gewalt und Ansehen entgegengestanden; wir bestreiten eine Hypothese, die, ob sie gleich nicht mehr brauchbar gefunden wird, doch noch immmer eine herkömmliche Achtung unter den Menschen behält. Ihr eigentliches Verhältnis muß deutlich werden, die alten Irrthümer sind wegzuräumen, wenn die Farbenlehre nicht, wie bisher, hinter so manchem anderen besser bearbeiteten Theile der Naturlehre zurückbleiben soll.

 

Da aber der zweyte Theil unsres Werkes seinem Inhalte nach trocken, der Ausführung nach vielleicht zu heftig und und leidenschaftlich scheinen möchte; so erlaubt man uns hier ein heiteres Gleichnis, um jenen Ernst härteren Stoff vorzubereiten, und jene lebhafte Behandlungs einigermaßen zu entschuldigen

 

Wir vergleichen die Newtonischen Farbtheorie mit einer alten Burg, welche von dem Erbauer anfangs mit jugendlicher Übervorteilung angelegt, nach dem Bedürfnis der Zeit und Umstände jedoch nach und nach von ihm erweitert und ausgestattet, nicht weniger bei Anlass von Fäden und Feindseligkeiten immer mehr befestigt und gesichert worden.

 

So für verfuhren auch seinen Nachfolger und Erben. Man erwarte nötig, das Gebäude zu vergrößern, hier daneben, hier daran, dort hinaus zu bauen; genötigt durch die Vermehrung innerer Bedürfnisse, durch die Dringlichkeit äußerer Widersacher und durch manche Zufälligkeiten.

 

All diese fremdartigen Teile und Zutaten mussten wieder in Berbindung gebracht werden durch die seltsamsten Galerien, Hallen und Gängen Alle Beschädigungen, es sey von Feindes Hand, oder durch die Gewalt der Zeit, wurden gleich wieder hergestellt. Man zog, wie es nöthig ward, tiefere Gräben, erhöhte die Mauern, und ließ es nicht an Thürmen, Erkern und Schießscharten fehlen. Diese Sorgfalt, diese Bemühungen brachten ein Vorurtheil von dem hohen Werthe der Festung hervor und erhielten's, obgleich Bau - und Befestigungskunst die Zeit über sehr gestiegen waren, und man sich in andern Fällen viel bessere Wohnungen und Waffenplätze einzurichten gelernt hatte. Vorzüglich aber hielt man die alte Burg in Ehren, weil sie niemals eingenommen worden, weil sie so manchen Angriff abgeschlagen, manche Befehdung vereitelt und sich immer als Jungfrau gehalten hatte. Dieser Name, dieser Ruf dauert noch bis jetzt. Niemanden fällt es auf, daß der alte Bau unbewohnbar geworden. Immer wird von seiner vortrefflichen Dauer, von seiner köstlichen Einrichtung gesprochen. Pilger wallfahrten dahin; flüchtige Abrisse zeigt man in allen Schulen herum und empfiehlt sie der empfänglichen Jugend zur Verehrung, indessen das Gebäude bereits leer sieht, nur von einigen Invaliden bewacht, die sich ganz ernsthaft für gerüstet halten.

 

Es ist also hier die Rede nicht von einer langwierigem Belagerung oder einer zweifelhaften Fehde. Wir finden vielmehr jenes achte Wunder der Welt schon als ein verlassenes, Einsturz drohendes Alterthum, und beginnen sogleich von Giebel und Dach herab es ohne weitere Umstände abzutragen, damit die Sonne doch endlich einmal in das alte Ratten- und Eulennest hineinscheine und dem Auge des verwunderten Wanderers offenbare jene labyrinthisch unzusammenhangende Bauart, das enge Nothdürftige, das zufällig Aufgedrungene, das absichtlich Gekünstelte, das kümmerlich Geflickte. Ein solcher Einblick ist aber alsdann nur möglich, wenn eine Mauer nach der andern, ein Gewölbe nach dem andern fällt und der Schutt, soviel sich thun läßt, auf der Stelle hinweggeräumt wird.

 

Dieses zu leisten und wo möglich den Platz zu ebnen/ die gewonnenen Materialien aber so zu ordnen, daß sie bey einem neuen Gebäude wieder benutzt werden können, ist die beschwerliche Pflicht, die wir uns in diesem zweyten Theile auferlegt haben. Gelingt es uns nun, mit froher Anwendung möglichster Kraft und Geschickes, jene Bastille zu schleifen und einen freyen Raum zu gewinnen; so ist keinesweges die Absicht, ihn etwa sogleich wieder mit einem neuen Gebäude zu überbauen und zu belästigen; wir wollen uns vielmehr desselben bedienen, um eine schöne Reihe mannigfaltiger Gestalten vorzuführen.

 

Der dritte Theil bleibt daher historischen Untersuchungen und Vorarbeiten gewidmet.

Aeußerten wir oben, daß die Geschichte des Menschen den Menschen darstelle, so läßt sich hier auch wohl behaupten, daß die Geschichte der Wissenschaft die Wissenschaft selbst sey. Man kann dasjenige, was man besitzt, nicht rein erkennen, bis man das, was andre vor uns besessen, zu erkennen weiß. Man wird sich an den Vorzügen seiner Zeit nicht wahrhaft und redlich freuen, wenn man die Vorzüge der Vergangenheit nicht zu würdigen versteht. Aber eine Geschichte der Farbenlehre zu schreiben oder auch nur vorzubereiten war unmöglich, so lange die Newtonische Lehre bestand. Denn kein aristokratischer Dünkel hat jemals mit solchem unerträglichen Uebermuthe auf diejenigen herabgesehen, die nicht zu seiner Gilde gehörten, als die Newtonische Schule von jeher über alles abgesprochen hat, was vor ihr geleistet war und neben ihr geleistet ward. Mit Verdruß und Unwillen sieht man, wie Priestley in seiner Geschichte der Optik, und so manche vor und nach ihm, das Heil der Farbenwelt von der Epoche eines gespalten seyn sollenden Lichtes herdatiren, und mit hohem Augbraun auf die ältern und mittleren herabsehen, die auf dem rechten Wege ruhig hingingen und im Einzelnen Beobachtungen und Gedanken überliefert haben, die wir nicht besser anstellen können, nicht richtiger fassen werden.

 

Von demjenigen nun, der die Geschichte irgend eines Wissens überliefern will, können wir mit Recht verlangen, daß er uns Nachricht gebe, wie die Phänomene nach und nach bekannt geworden," was man darüber phantasirt, gewähnt, gemeynt und gedacht habe. Dieses alles im Zusammenhange vorzutragen, hat große Schwierigkeiten, und eine Geschichte zu schreiben ist immer eine bedenkliche Sache. Denn bey dem redlichsten Vorsaß kommt man in Gefahr unredlich zu seyl, ja wer eine solche Darstellung unternimmt erklärt zum voraus, daß er manches ins Licht, manches in Schatten sehen werde.

 

Und doch hat sich der Verfasser auf eine solche Arbeit lange gefreut. Da aber meist nur der Vorsatz als ein Ganzes vor unserer Seele sieht, das Vollbringen aber gewöhnlich nur stückweise geleistet wird; so ergeben wir uns darein, statt der Geschichte, Materialien zu derselben zu liefern. Sie bestehen in Uebersetzungen, Auszügen, eigenen und fremden Urtheilen, Winken und Andeutungen, in einer Sammlung, der, wenn sie nicht allen Forderungen entspricht, doch das Lob nicht mangeln wird, daß sie mit Ernst und Liebe gemacht sey. Uebrigens mögen vielleicht solche Materialien, zwar nicht ganz unbearbeitet, aber doch unverarbeitet, dem denkenden Leser um desto angenehmer seyn, als er selbst sich, nach eigener Art und Weise, ein Ganzes daraus zu bilden die Bequemlichkeit findet.

 

Mit gedachtem dritten historischen Theil ist jedoch noch nicht alles gethan.

 

Wir haben daher noch einen vierten supplementaren hinzugefügt.

Dieser enthält die Revision, um derentwillen vorzüglich die Paragraphen mit Nummern versehen worden. Denn indem bey der Redaction einer solchen Arbeit einiges vergessen werden kann, einiges beseitigt werden muß, um die Aufmerksamkeit nicht abzuleiten, anderes erst hinterdrein erfahren wird, auch anderes einer Bestimmung und Berichtigung bedarf; so sind Nachträge, Zusätze und Verbesserungen unerläßlich. Bey dieser Gelegenheit haben wir denn auch die Citate nachgebracht. Sodann enthält dieser Band noch einige einzelne Aufsätze, z. B. über die atmosphärischen Farben, welche, indem sie in dem Entwurf zerstreut vorkommen, hier zusammen und auf einmal vor die Phantaste gebracht werden.

 

Führt nun dieser Aufsatz den Leser in das freye leben, so sucht ein anderer das künstliche Wissen zu befördern, indem er den zur Farbenlehre künftig nöthigen Apparat umständlich beschreibt.

 

Schließlich bleibt uns nur noch übrig der Tafeln zu gedenken,

welche wir dem Ganzen beygefügt. Und hier werden wir freylich an jene Unvollständigkeit und Unvollkommenheit erinnert, welche unser Werk mit allen Werken dieser Art gemein hat.

 

Denn wie ein gutes Theaterstück eigentlich kaum zur Hälfte zu Papier gebracht werden kann, vielmehr der größere Theil desselben dem Glanz der Bühne, der Persönlichkeit des Schauspielers, der Kraft seiner Stimme, der Eigenthümlichkeit seiner Bewegungen, ja dem Geiste und der guten Laune des Zuschauers anHeim gegeben bleibt; so ist es noch viel mehr der Fall mit einem Buche, das von natürlichen Erscheinungen handelt. Wenn es genossen, wenn es genutzt werden soll, so muß dem Leser die Natur entweder wirklich oder in lebhafter Phantasie gegenwärtig seyn. Denn eigentlich sollte der Schreibende sprechen, und seinen Zuhörern die Phänomene, theils wie sie uns ungesucht entgegenkommen, theils wie sie durch absichtliche Vorrichtungen nach Zweck und Willen dargestellt werden können, als Text erst anschaulich machen; alsdann würde jedes Erläutern, Erklären, Auslegen einer lebendigen Wirkung nicht ermangeln.

 

Ein höchst unzulängliches Surrogat sind hiezu die Tafeln, die man dergleichen Schriften beyzulegen pflegt. Ein freyes physisches Phänomen, das nach allen Seiten wirkt, ist nicht in Linien zu fassen, und im Durchschnitt anzudeuten. Niemand fällt es ein, chemische Versuche mit Figuren zu erläutern; bey den physischen nah verwandten ist es jedoch hergebracht, weil sich eins und das andre dadurch leisten läßt. Aber sehr oft stellen diese Figuren nur Begriffe dar; es sind symbolische Hülfsmittel, hieroglyphische Ueberlieferungsweisen, welche sich nach und nach an die Stelle des Phänomens, an die Stelle der Natur setzen und die wahre Erkenntniß hindern, anstatt sie zu befördern. Entbehren konnten auch wir der Tafeln nicht; doch haben wir sie so einzurichten gesucht, daß man sie zum didaktischen und polemischen Gebrauch getrost zur Hand nehmen, ja gewisse'der« selben als einen Theil des nöthigen Apparats an» sehen kann.

 

Und so bleibt uns denn nichts weiter übrig, als auf die Arbeit selbst hin zu weisen, und nur vorher noch eine Bitte zu wiederholen, die schon so mancher Autor vergebens gethan hat, und die besonders der deutsche Leser neuerer Zeit so selten gewährt:

 

 

Si quid novisti reetius istis Candidus imperti, si non, his utere mecum

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